Samstag, 4. Februar 2017

Little Red Rooster

Als ich in dem Kaff aus dem Bus stieg, war ich völlig abgebrannt. Alles, was ich bei mir hatte, war eine Plastiktüte und ein paar Münzen in meiner Jackentasche.
In der Tüte war eine Filmrolle und ein Packen bedrucktes Papier. Belastendes Material über einen Politiker in der Hauptstadt, der eine Affäre mit einer Minderjährigen gehabt hatte. Hier wollte ich es an einen kleinen Fernsehsender verkaufen, dessen Programm man nur im Internet sehen konnte.
Am Busbahnhof kaufte ich mir ein kaltes Bier, um den Staub aus meiner trockenen Kehle zu waschen. Ich trank in langen Zügen, während mich ein Betrunkener mit glasigen Augen schamlos anstarrte. Vermutlich lungerte er den ganzen Tag am Bahnhof herum, auf dem Boden neben ihm lagen ein halbes Dutzend leerer Bierdosen.
Als ich zum Sender ging, traf ich keine Menschenseele. Keine Autos, nur die schmutzige Straße. Am Horizont eine Bergkette im Dunst. Das ganze Tal war eine fruchtlose Geröllwüste, über der noch nicht einmal ein Raubvogel kreiste.
Little Red Rooster – so stand es in großen schwarzen Buchstaben an der Schaufensterscheibe. So hieß der Sender und ich öffnete die Tür. Alles, was ich in dem Chaos aus Computern, Servern und Kabeln sah, war ein unrasierter Mann mit fettigen Haaren in einem ausgeleierten Football-Shirt, auf dessen Schoß sich eine junge Frau schamlos rekelte.
Ich hielt die Tüte hoch und sagte: „Hier ist das Material, das ich Ihnen verkaufen wollte. Sie erinnern sich?“
Er nickte und grinste mich an. „Darauf müssen wir anstoßen.“
Die Frau begann zu nörgeln. „Nein, Schatz. Lass uns nach Hause gehen.“ Und dann grinste sie ihn lüstern an. „Ich will dich. Jetzt.“
Der Boss des Ein-Mann-Ein-Raum-Senders gab ihr einen Klaps auf den Hintern und stand auf. „Gehen wir. Die Tüte mit dem Material können Sie ruhig hier stehen lassen.“
Wir gingen nach draußen und liefen die Straße entlang. Exakt derselbe Weg, den ich schon einmal gelaufen war. Aus den Augenwinkeln sah ich mir die junge Frau an. Sie sah verdammt gut aus – und plötzlich wurde mir klar: Das ist die Frau auf dem Band. Die angeblich Minderjährige. Jetzt sah sie älter aus, heruntergekommen und abgerissen. Aber sie war es, keine Frage.
Am Kiosk stand immer noch der Betrunkene. Er begrüßte den Mann und seine Freundin. Die anderen Drei plauderten ein wenig, während ich schweigend zuhörte. So ein Mann wie der Betrunkene durfte in keinem Westernfilm fehlen. In Karatefilmen hieß diese Figur „The Drunken Master.“
Der Senderboss fragte mich, ob ich Geld hätte. Er müsste erst noch zur Bank, mein Geld würde er mir aber ganz sicher morgen geben. Mit meinen letzten Münzen kaufte ich eine Runde Bier für alle.
Ich hatte nichts mehr und saß in diesem Drecksnest fest, keine Frage. Wie sollte es weitergehen, wenn ich das Bier ausgetrunken hatte?
Depeche Mode – Precious. https://www.youtube.com/watch?v=rip1J0YWGgA

1 Kommentar:

  1. Provinzei in der Großstadt6. Februar 2017 um 10:45

    Bozen - Stuttgart, Sommer 2016.
    Umsteigen in München. Durst.
    Bock auf ein Bier und ne Kippe.
    Wo kann man im Münchner HBf ungestraft eine Zigarette rauchen ?
    Vorne auf dem Bahnhofsvorplatz, in Gesellschaft anderer, bereits schon angetrunkener Männer.
    Penner würde man sagen, Abgehängte, Alkis, Assis.
    Hm, mir haben die keine Schwierigkeiten gemacht.
    Gehöre ich schon dazu ? Kurz habe ich mich so gefühlt.
    Ein kalter Hauch ging mir den Rücken runter.

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