Donnerstag, 16. Februar 2017

Eine wahre Geschichte und eine Lüge

Franz Jung wurde 1817 in der Nähe von Karlsruhe geboren. Sein Vater war Landarbeiter, seine Mutter Weberin. Er wurde Knecht auf demselben Hof, auf dem auch sein Vater beschäftigt war. 1841 heiratete er die Magd Henriette Klingbeil, die auf dem Nachbarhof arbeitete. Als es zur Märzrevolution 1848 kam, nahm Franz Jung aktiv an den Kämpfen Teil. Im Großherzogtum Baden nahm die Revolution ihren Anfang. Das Volk wählte sich überall in den deutschen Kleinstaaten Regierungen, die sogenannten Märzkabinette, die in der Frankfurter Paulskirche zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung zusammentraten. Ein Ergebnis der Revolution war die Bauernbefreiung. Franz Jung und seine Frau waren nun keine Leibeigenen mehr. Er hatte nun das Recht, das Land seines Herrn zu verlassen und musste keine Frondienste mehr erbringen. Auch die Erbuntertänigkeit der Bauern, die es seit Jahrhunderten gegeben hatte, wurde abgeschafft. Als die Revolution kurz darauf gescheitert war, fürchtete Franz Jung, seine Freiheit wieder zu verlieren. Er ging mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Amerika, wo es keine weißen Leibeigenen mehr gab. Er ließ sich in Ohio nieder, kaufte ein Stück Land und wurde Farmer. Er war so erfolgreich, dass er seinen Grundbesitz stetig erweiterte. Auf einem Teil des Landes baute er Hafer an und begann, in die umliegenden Städte und Gemeinden Haferflocken zu verkaufen. 1875 war er ein erfolgreicher Unternehmer, der eine eigene Fabrik unterhielt, die Haferflocken im ganzen Land verkaufte. Bevor im 20. Jahrhundert die Cornflakes den Markt eroberten, galt Franz Jung als König der Frühstückscerealien. Er starb 1892 als reicher Mann.
Franz Jung wurde 1888 in Oberschlesien geboren. Er war der Sohn eines Uhrmachers, besuchte das Realgymnasium und legte 1907 sein Abitur ab. In Leipzig studierte er Musik, wechselte aber bald zu Volkswirtschaft, Rechts-, Kunst- und Religionswissenschaften. 1912 erschienen erste Prosatexte von ihm in expressionistischen Zeitschriften. Bei Kriegsbeginn 1914 desertierte er aus dem Heer, kam in Festungshaft und anschließend in die Psychiatrie nach Berlin-Wittenau. Danach führte er ein Doppelleben: Sein Brotberuf waren Wirtschaftsjournalismus und Börsenberichterstattung, gleichzeitig betätigte er sich politisch im Untergrund und war Mitherausgeber des „Club Dada“. Er war mit Erich Mühsam und George Grosz befreundet. Nach dem Krieg nahm er an den Spartakus-Kämpfen im Berliner Zeitungsviertel teil. Als glühender Kommunist kaperte er ein Fischdampfer und fuhr in die Sowjetunion, wo er bei Nowgorod eine Zündholzfabrik aufbaute. 1923 kehrte er unter falschem Namen nach Deutschland zurück, arbeitete erneut als Wirtschaftsjournalist, Unternehmer und am Berliner Theater an der Seite von Erwin Piscator. Ab 1933 war er in der Untergrundgruppe „Rote Kämpfer“ aktiv, wurde verhaftet und konnte fliehen. Prag, Wien und Genf wurden seine nächsten Stationen. 1939 war er Versicherungsagent in Budapest, nachdem ihn die Schweiz wegen Spionageverdachts ausgewiesen hatte, und wurde 1944 wieder verhaftet. Er konnte nach Italien fliehen, wo er jedoch im Konzentrationslager Bozen interniert wurde. 1948 wanderte er in die USA aus und kehrte 1960 nach Deutschland zurück, wo er 1963 völlig verarmt und vergessen in Stuttgart starb. Seine Autobiographie „Der Weg nach unten“ von 1961 ist leider viel zu wenigen Lesern bekannt.
Welche der beiden Biographien ist echt, welche ist falsch?
Pink Turns Blue - Your Master Is Calling. https://www.youtube.com/watch?v=FT9lwMakwv8

21 Kommentare:

  1. Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, ob ich es schön finde, dass die schillernde Lebensgeschichte die wahre ist.

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    1. Sie schillern eigentlich beide, oder?

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    2. Gut, aber da ich Franz Jung im Zusammenhang mit Kurt Schwitters kennengelernt habe und selten Haferflocken esse, bin ich wahrscheinlich voreingenommen.

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    3. Und deine Präjudizierung bzw. deine Bildung haben dich auf den richtigen Weg geführt ;o)

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  2. Ich glaube die Erste ist gelogen. ich stolperte darüber, dass ein Knecht in der Hauptstadt wohnt. Das ist eher ungewöhnlich ;-)

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    1. In der Nähe von Karlsruhe, heißt es. Das ist für einen Knecht wiederum normal. Vielleicht sind auch beide Biographien wahr oder beide falsch? Schließlich soll es eine Lektion in gesundem Misstrauen gegenüber Informationen sein. #Fake News

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    2. Diese Lektion durfte ich die letzten Monate im realen Leben durchspielen. Dazu wird es demnächst bei mir mehr geben ;-)

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    3. Verdammt, Nelly! Du hattest recht! Beim zweiten Durchlesen gerade eben habe ich die Schwachstelle in meiner Lügengeschichte entdeckt - und natürlich sofort geändert. Lügen ist schwieriger als die Wahrheit zu sagen. Und die Leser manchmal klüger als man denkt. Glückwunsch :o)

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  3. Der Badener Franz wird gelebt haben, ich hoffe es jedenfalls. Beim anderen Franz ist die Lebensgeschichte sehr bunt, da glaube ich nur die Hälfte(höchstens). Ich hätte auch ihm ein anderes Ende gewünscht, verarmt in Stuttgart ist kein Spaß. Die Fahrt mit dem Fischdampfer gab mir Rätsel auf: von Berlin aus?

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  4. Sach ma ! Könnt Ihr kein Internet bedienen ?
    Wiki, kommt aus dem Hawaianischen und bedeutet "schnell".
    Franz Jung, 1888, stimmt wohl so.
    Jetzt der andere, hm.........
    Was nicht im Netz steht ist nicht wahr, nicht mehr wahr.
    Mein Gott, als ich meine Studien und Diplom und sonst noch Arbeiten schrieb hat man tatsächlich noch in Karteikarten gewühlt.
    Ein Student, der gerade neben meinem Schreibtisch an seinem Bachelor arbeitet, hat mich mit völlig entgeistertem Gesicht gefragt, wie es denn seinerzeit überhaupt möglich war, eine Arbeit zu schreiben. Ohne Rechner. Nun er hat auch mit Computer, er benützt 2, den von der Fa. und noch sein eigenes Tablett, größte Schwierigkeiten.
    Was mich verzweifeln lässt. Diese Leute sollen meine Rente erwirtschaften ?

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    1. Ah, der erste Leser, der nicht rät oder fragt, sondern recherchiert. Sehr gut!

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    2. Was nicht im Netz steht, ist nicht(mehr) wahr? Meine Vorfahren sind wahr, auch wenn sie nicht im Netz stehen! Und Wiki kann auch Quatsch bieten, und meine Auswahl an Fakten ist für diese Schreiber vielleicht uninteressant.
      Ein Hoch auf die Phantasie, außerdem!

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    3. In diesem Falle darfst du Wikipedia glauben, Roswitha, ich habe die Geschichte an zwei weiteren Stellen überprüft. #Faktencheck

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  5. ...die sind beide erfunden..

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  6. Wir leben im postfaktischen Zeitalter.

    Also: „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“
    (Nietzsche, Zur Genealogie der Moral)

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    1. Ja, ich fürchte zu relevanteren Mitteilungen ist Gott nicht mehr bereit/fähig.

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    2. Auf Kiezschreiber Plus gibt es mehr von ihm und anderen Stars, die bei der Bundesversammlung waren. Nur 9,99 € im Monat! Jetzt abonnieren!!!

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    3. Tut mir leid, ich habe eine Ausrufezeichenallergie.

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